Als ich in den gesammelten Schriften des Biophysikers Henri Atlan nachschlug, erweckte sein 2005 veröffentlichter Text The Mother Machine meine Aufmerksamkeit.
Im ersten Augenblick war ich erstaunt darüber, dass ein Naturwissenschaftler, der den kybernetischen Theorien sehr nahesteht, sich überhaupt für die weibliche Seite der Reproduktion interessiert, denn der Diskurs der Selbstorganisation sowohl in den Naturwissenschaften als auch in den Kommunikations- und Informationstheorien ist im Wesentlichen männlich dominiert, während Frauen die Rolle von echten Information-Maschinistinnen einnahmen, wie schon Friedrich Kittler in seinen beiden Büchern zeigt und wie es auch die schöne Geschichte der Musikelektronik (sisterswithtransistors) beweist.

Es handelt sich um eine Rezension des Buches von Gena Corea aus dem Jahr 1985: The Mother Machine: Reproductive Technologies from Artificial Insemination to Artificial Womb. Henri Atlan muss nichts anderes tun, als die Hauptthese Coreas bestätigen. Der rote Faden des Buches besagt, dass die Fortschritte in der Reproduktionsmedizin den Traum von der Selbstbestimmung der Frauen über ihren Körper nicht erfüllen, sondern Frauen vielmehr ihrer Handlungsmacht über ihren Körper berauben. Warum? Wegen der „Wiederaneignung der bisher von Männern monopolisierten reproduktiven Techniken“ (Atlan 2005: 345).
Auch wenn sich in den letzten 40 Jahren die Gleichberechtigung in der Arbeits- und Forschungswelt verbessert hat, folgt die gesamte technische und medizinisch-pharmazeutische Industrie nach wie vor neoliberalen biopolitischen Kriterien, die mit weiblicher Emanzipation schwer vereinbar sind. Dies liegt nicht nur an der männlichen Dominanz in den gesellschaftlichen Strukturen, sondern vor allem an der seit der Nachkriegszeit beschleunigten Etablierung einer neoliberalen, produktions- und vor allem leistungsorientierten Arbeitskultur.
Reproduktionstechnologien und Emanzipation
Das erste Argument, das Atlan anführt, bezieht sich auf eine These, der Corea einen Artikel gewidmet hat: „The hidden malpratice: how American medicine mistreats women“ (Atlan 2005: 1985). Darin geht es um die Missachtung des weiblichen Körpers in medizinischen Studien im Allgemeinen. Medizinische Studien würden ihr Verfahren auf die Verallgemeinerung des Geschlechts legen, sodass durch die Nichtberücksichtigung der weiblichen biologischen Voraussetzungen bei Frauen viel mehr negative Auswirkungen als bei Männern eintreten. Die schädliche Konsequenz einer „hypermediacalized procreation“ (Atlan 2005: 343) wird mit einem zweiten Argument aufgezeigt: Die Reproduktionstechnologien, so die These, sollen Frauen nicht von der Reproduzierbarkeit ihres Körpers befreien, sondern ihn im Gegenteil unausweichlich in den Dienst der Reproduktion stellen, trotz schwieriger Bedingungen. Sie sollen ihren Körper in den Dienst der Sicherung des Nachwuchses stellen, durch klinische Verfahren und trotz auftretender Schwierigkeiten. Ihre Körper werden „unjustifiably sacrificed on the altar of reproduction“ (Atlan 2005: 343).
„But this is only the beginning of a long history of medical interventions, paved with good intentions, to be sure, but in which womenʼs bodies have been unjustifiably sacrificed on the altar of reproduction“ (Atlan 2005: 343).
So geht es in seinem Kommentar nicht um die ethischen Aspekte der Reproduktionstechnologien. Der emanzipatorische Diskurs und die emanzipatorische Haltung, die in der Tat sehr viel zur sozialen Bewegung der Frauenemanzipation beigetragen haben, bedeuten für Gena Corea jedoch, so Atlan, zwei Seiten einer Medaille. Laut ihnen bleibt die Asymmetrie der Geschlechter durch die Reproduktionstechnologien aufrechterhalten. Sollten die Reproduktionstechnologien eine emanzipatorische Bewegung vorantreiben, wenn Frauen unabhängig von gesellschaftlichen Strukturen über ihren Körper selbst bestimmen könnten, so ist das Gegenteil der Fall, falls eine illegitime Aneignung des weiblichen Körpers durch die technomedizinische Institution stattfindet. „This frankly astonishing observation joins many others accumulated by Corea in support of her thesis of the medical mistreatment of woman of reproductive technology“ (Atlan 2005: 344). Tatsächlich ist nicht die Technik das Problem, sondern die gesellschaftlichen Strukturen, in denen sie operiert.
Aufhebung sozialer Asymmetrien
Mit dem provokanten Titel „Mother Machine“ wollte Henri Atlan die sozialen Konsequenzen als Herausforderung an die Gesellschaft darstellen, von dem, was sozialtechnisch noch als Irrealität, aber nicht als Unmöglichkeit erscheint, nämlich die künstliche Reproduktion einer Gebärmutter. In diesem Zusammenhang stellt er die Frage, ob eine exo-mütterliche Gebärmutter die Asymmetrie der Geschlechter ausgleichen könnte. Man könnte hoffen, dass eine künstliche Gebärmutter die Ungleichheiten bei der Versorgung Neugeborener ausgleichen würde. Aber es wäre nicht notwendig, die Geschlechterdifferenz aufzulösen, wenn sie viel weiter geht als die mütterliche vs. väterliche Rolle, die ein bestimmtes bürgerliches Dreieck „Vater/Mutter/Kind“ der westlichen Länder einnehmen würde.
„What will comprise the masculine and feminine genders and their articulations in a world where the asymmetric of the sexes in reproduction will have disappeared?“ (Atlan 2005: 350)
Die Simulation der generativen Bildungskraft
Beim Titel „Mother Machine“ weiß man bzw. ich nicht genau, welche Simulation gemeint ist: die der Mutter – nämlich die der äußeren (allo)mütterlichen Instanz – oder die der Gebärmutter – nämlich ein dem Körper der Mutter innerlicher ontogenetischer Prozess.
Die Simulation der Gebärmutter und der Mutter sind sehr unterschiedliche Dinge. Tatsächlich bezieht Atlan sich auf die Simulation der Gebärmutter, d.h. auf die Simulation einer ökologischen Nische, die in der Welt nicht entäußert ist. Aber er verweist kaum auf den radikalen ontologischen Unterschied zwischen den beiden, nämlich auf das unterschiedliche Verhältnis, das sie jeweils zur Welt haben. Insofern die Mutter ein in der Welt befindliches Wesen ist, ist der Uterus ein inneres Organ im Körper der Mutter, in dem die Morphogenese des Embryos stattfindet. Die Simulation einer mütterlichen Maschine wäre eigentlich das Abbild bzw. die Kopie eines Wesens, das mütterliche Eigenschaften besitzt und ausführt. Die Simulation einer Nische, die aber innerlich im Körper der Mutter existiert, mit ontogenetischen Eigenschaften, wäre eine Simulation zweiter Ordnung: erstens die Erfindung einer aus dem Körper der Mutter externalisierten und entäußerten Bildungsmaschine und zweitens die einer Maschine, die Ontogenese und Morphogenese ausführt.
Atlan selbst widmete sich wissenschaftlich dem Bildungstrieb. Als Autor und Erforscher der Selbstorganisation sowohl in organischen als auch in anorganischen und technischen Systemen plädierte er dafür, die Organisation eines Systems, d.h. die Organisation der Strukturen eines bestimmten Systems, sei es organisch oder nicht, sei informationell. Sie ist eine Eigenschaft, die alle Systeme besitzen, sofern sie mit einem Außen in Wechselwirkung stehen und ein Austausch von Energie und Materie stattfindet, während Information um ihrer selbst willen erzeugt wird. Je nachdem, wie viel Energie abgeführt oder vergeudet wird und wie groß die Fähigkeit und die Kapazität des Individuums sind, Arbeit zu verrichten oder Informationen aufzunehmen, laufen unterschiedliche Organisationsprozesse ab.
Aber ist die Gebärmutter ein selbstorganisierender Körper, par excellence, simulierbar? Ist die negative Entropie ein simulierbarer Entstehungsmotor?
Als die Alchemist*innen sich daran machten, das Leben zu simulieren, versuchten sie in Wirklichkeit,
das zu überwinden, was die Naturwissenschaften später als 2. Hauptsatz der Thermodynamik bezeichneten, den Ludwig Boltzmann und andere ebenso zu überwinden trachteten. In der Geschichte der technischen Utopien und vor allem in der literarischen Geschichte der Science Fiction hat man sich nie vorstellen können, das zweite Gesetz der Thermodynamik zu überwinden, ohne eine dritte Art, ein drittes Geschlecht zu postulieren.
Eine Womb Machine würde also nicht die Geschlechterdifferenz aufheben, sondern allenfalls die Asymmetrie zweier Geschlechter durch die Schaffung eines dritten Geschlechts ausgleichen.