Du bist nicht von deiner Mutter gelesen. Sie spricht weder noch liest Derridianisch.

Die sexuelle Differenz lesen von Hélène Cixous, Jacques Derrida. Übersetzt und mit einem Essay versehen von Claudia Simma. Turia + Kant, Wien/Berlin 2023.

Hélène Cixous hat Angst

„Ich habe Angst“ (…) „Die Frage beziehungsweise Angst, diese ‚Geschichte‘ der „sexuellen Differenz“ (S. 12).

Hélène Cixous hat Angst. Sie ergreift das Wort (S. 9). Im Innersten ist sie gerührt. Sie sitzt in einem Saal, um über die sexuelle Differenz zu sprechen, über einen erzählten Traum, der den Titel Fourmis trägt, für den Jacques Derrida das Wort ergreift.

Das Buch „Die sexuelle Differenz lesen“ enthält zwei Vorträge, die im Rahmen eines Kolloquiums des Collège International de Philosophie gemeinsam mit dem Centre d’Études Fémenines de l’Université Paris-VIII in Paris vom 18. bis 20.10.1990 gehalten wurden. Sie wurden 1994 publiziert und 2023 hat der Verlag Turia + Kant sie unter dem Titel „Sexuelle Differenz lesen“ erneut veröffentlicht. Claudia Simma, die Übersetzerin der gemeinsam verfassten Rede, schrieb das Nachwort, in dem sie die sexuelle Differenz liest, welche Cixous liest, die Derrida liest.

Wovor hat Hélène Angst? Wenn sie das Wort ergreift, ist sie von der Unheimlichkeit der sexuellen Differenz ergriffen. Ja, sie ist ihr sehr vertraut, sogar „extrem vertraut“ (S. 14). Heimlich und zugleich „zu fremd“ (S. 14) ist ihr die sexuelle Differenz. Sie spricht als Frau und als Frau kennt sie die sexuelle Differenz sehr gut; „wir als Frauen kennen sie gut“ (S. 14). Doch bleibt sie ihr und uns immer noch unbekannt (S. 14).

Wenn sie das Wort ergreift, ist sie von Angst ergriffen. Angst bricht den Diskurs ab, und um ihr zu entrinnen, muss sie einen anderen Weg als die Ansprache finden, um darüber zu sprechen, was sie vom Reden abhält. Weder die wissenschaftliche Diskussion der Klassifizierung von Geschlechtern noch die epistemologische Kritik an der Anordnung von Arten sind die Auslöser einer solchen Beklemmung. Was ist die Geschichte der sexuellen Differenz? Ist sie vielleicht doch ein Märchen? (S. 12)

Welche ist dann diese Geschichte?

…Sie ist die Geschichte der Lesbarkeit

Die Geschichte der sexuellen Differenz ist die Geschichte ihrer Lesbarkeit. Es geht um die Lesbarkeit der sexuellen Differenz, nicht aber deren Schreibbarkeit. Sie ist gelesen. Das ist der Appel, um welchen das indirekte Gespräch zwischen Hélène Cixous, Jacques Derrida und Claudia Simm kreist.

Durch die sexuelle Differenz ist die Differenz zu lesen. Diese Aussage irritiert so sehr, dass man sofort an den Ursprung der Lesbarkeit denkt und sich weitere Fragen stellt: Wie wurde sie geschrieben? Wurde sie aufgeschrieben? Wer hat sie geschrieben? Gleicht nicht aber die Geschichte des Lesens der Geschichte des Schreibens?

Es gibt kein Lesen ohne Schrift. Das Lesen ist eine Entzifferung dessen, was aufgeschrieben ist. Mit oder ohne Anspruch zu verstehen, was verschriftlicht ist, ist die Lesbarkeit der Auslegung dessen, was aufgeschrieben ist, vorausgesetzt. Im Umkehrschluss setzt die Schrift das Lesen voraus. Das Lesen markiert die Sinndeutung dessen, was geschrieben ist, indem das Geschriebene den Sinnhorizont öffnet. Die Hermeneutik des Lesens beruht in dieser Hinsicht auf der zirkulären Logik, welche sie einschließt: Das Lesen setzt die Schrift voraus, die Schrift ist die Markierung einer Differenz beim Lesen. Ohne Lesbarkeit gibt es kein Schreiben, ohne Schreiben ist nichts zu lesen. Das macht allerdings den Zugang zum Ursprung des Lesens schwer: Sich des Ursprungs der Lesbarkeit zu begeben, bringt nichts mehr, als die Geschlossenheit des Kreislaufs zu begehen: kein Lesen ohne Schreiben. Kein Schreiben ohne Lesen.

Derrida hatte schon das Problem des Zirkelschlusses Lesen/Schreiben geschildert, als er Platon, der der Schrift die Qualität eines pharmakons zuschrieb, ausführlich kommentierte. Die Schrift kündigt das Ende der mündlichen Überlieferung göttlicher Botschaften an, als Philosophie und Dichtung immer noch zusammengehörten und diese in Form von Dialogen aufgeschrieben wurden. Botschaften, die von Göttern vermittelt wurden, werden nicht von Mund zu Mund übermittelt, sondern sie werden aufgeschrieben. Die Schrift ist ein pharmakon, eine Technik, mittels derer die Aufbewahrung von Botschaften auf die Materialität eines Trägermediums übertragen wird. Ein Heilmittel, sofern die Schrift dazu beiträgt, die Mitteilungen massiv zu verbreiten; giftig, sofern man sich nicht mehr bemüht, diese im Speicher der Seele zu bewahren. Dann ist der Teufelskreis der bedingten Wechselwirkung erfolgt: keine Schrift ohne deren Lesbarkeit.

Die Paradoxie des hermeneutischen Kreises des Lesens, die Derrida anhand des Textes Platons behandelte, setzt eine Asymmetrie voraus. Lesen/Schreiben verstricken sich im Circulus vitiosus der Bedingtheit, weil ein und dasselbe nicht dasselbe sind. Das heißt, das Gelesene stimmt nicht mit dem Geschriebenen eins zu eins überein. Beide berühren sich, Lesen und Schreiben. Sie sind dasselbe, sofern das Gelesene das Geschriebene ist, doch das Gelesene nicht durch das Geschriebene ersetzt werden kann, folglich sind sie doch nicht dasselbe. Der Ausweg aus dieser Paradoxie ist die Übersetzung. Die Lesbarkeit der sexuellen Differenz hängt ab vom Widerstand ihres eigenen Ersetzens Wort durch Wort.

Es handelt sich hier nicht darum, ob die Bedeutung des einen die Bedeutung des anderen ersetzen kann. Es geht um eine Transduktion, in den Worten von Michel Serres. Denn jede Übersetzung zeigt die Unmöglichkeit des vollständigen Ersetzens, nämlich eines Wortes durch ein anderes Wort, eines Ausdrucks durch einen anderen. Ein vollständiges „Setzen“ oder „Ersetzen“, scheint unmöglich (S. 50).

…oder eine der Übersetzung

Wenn Cixous und Derrida sich ans Lesen der sexuellen Differenz wagen, wagen sie deren Übersetzung und die Lesbarkeit der Übersetzung. Die sexuelle Differenz lässt sich lesen, was bedeutet, sie ist eine übersetzte und übersetzbare Differenz. Denn das Ersetzen „von einer Seite zu einer anderen Seite der sexuellen Differenz“ scheint ein misslungenes Kalkül zu sein, denn in der sexuellen Differenz gibt es keine Äquivalenz zwischen den Geschlechtern, da ihr, wie jeder Übersetzung, eine Asymmetrie zugrunde liegt. Jede Seite der sexuellen Differenz ist etwas Einzigartiges, das unersetzbar zu sein scheint.

„Durch Übersetzen ersetzen scheint möglich. Ebenso wie das Übersetzen von einer zu einer anderen Seite der sexuellen Differenz, und auch das Übersetzen dessen, was man etwas Einsames, Besonderes oder Einzigartiges nennt“ (S. 50)

Dass es keine sexuelle Differenz mehr gibt als eine solche, die sich übersetzen lässt, unterstreicht die anfängliche These, laut der die sexuelle Differenz eine der Lesbarkeit ist:

„‚Lesen der sexuellen Differenz‘, das also war der Titel (…) Auch wenn die sexuelle Differenz sich so den Lesarten öffnet, ist sie doch nie von vornherein und durch und durch, de part en part sichtbar. Sie ergibt sich dem Sehen, voir nicht (…), sie gibt sich nur zu lesen“ (S. 79).

Worte sind keine Erfindungen, sie sind Spuren einer Übersetzung, die man liest und die die Unmöglichkeit eines Ersetzens aufzeigt. Sie sind die Differenz. Worte sind dann Spuren, die man liest, und diese Spuren markieren die sexuelle Differenz.

„ (…) das ist meine Hypothese, sobald es sexuelle Differenz gibt, gibt es Wörter oder vielmehr Spuren zu lesen. Damit und dadurch beginnt sie. Es mag Spuren ohne sexuelle Differenz geben, zum Beispiel im Falle von nicht sexuiertem, von ungeschlechtlichem  Leben, aber es kann sexuelle Differenz nicht ohne Spuren geben“ (S. 55).

Das heißt, die Differenz ist im Lesen, dessen Markierung verhüllt und verborgen bleibt. Es ist die Markierung im Körper, die die Schrift gelesen hat. Die Differenz ist weder ontologisch noch epistemologisch, sondern medial und technisch: Es geht um die Lesbarkeit der Differenz.

Arithmetik der Zwei

Signatur und Herum-Geschnitten (Zirkumzision) : Derrida als Mann

Hélène Cixous ergreift das Wort. Sie spricht von einem Bevor, einem Bevor vor dem Lesen: die Signatur. Sie ist in die Materie eingraviert. Verzierungen im Fleisch werden eingeschnitten, bevor man sie überhaupt lesen kann. In der Fläche des Körpers tritt zunächst die Asymmetrie der Information auf.

„Dieser Körper, dein Körper, denn dein Text ist beständig körperlich, ist signiert, auf unzählige Arten und Weisen signiert, die ganz Zeit geht es um die Signatur, das Unterzeichnen, die Unterschrift“ (S. 16-17).

Man lernt selbige Signaturen zu entziffern, man lernt die Markierung zu lesen, um sich von anderen zu unterscheiden, in einer Art von Erfindung der Selbst-Identität und der Bestätigung einer Trennung, eines séparement zwischen Ich-Selbst und den anderen. Dann beginnt die hermeneutische Rückschleife ablesen/aufzeichnen. Das Ablesen von aufgezeichneten Spuren, das zum Schreiben führt, sei der Anfang eines Schreibens, das kein Ende mehr hat, als aufzuhören zu lesen.

Hélène Cixous beginnt mit dem Körper Jacques Derridas. „Du bist (Zirkum)Beschnitten, sage ich, also beginne ich am Körper“ (S. 16). Sie erzählt die Geschichte der Gravierung und des Schnitts in der Männlichkeit, ein Beschnitten-Sein (S. 17), eine Signatur, deren Lesbarkeit die sexuelle Differenz in der Männlichkeit und der Männlichkeit ist. Laut Cixous liest die sexuelle Differenz um die Signatur herum, bei welcher das umgehenden Schreiben Derridas seinen Anfang hat.

 „(…) und das alles vor ihm und an ihm, dieses eigenschnitzten Schreibens noch bevor er lesen konnte ja, das ist dieses (Zirkum)Beschnitten-Sein und dieses (zirkum)beschnittene Wesen“ (S. 16).

Das eigenschnitzten Schreiben spricht von einem nicht wiedergewonnenen Verlust. „Ist diese Geschichte des (Zirkum)Beschnitten-Seins ein Zug der Männlichkeit?“ (S. 17), fragt sich Cioux.

Die Geschlechtsdifferenz beginnt mit Gott

Hélène meinte, dass die sexuelle Differenz im Körper signiert ist. Die erste Differenz ist das Lesen einer Geschlechtertrennung, die über eine Signatur eines Schnittes in der Fläche des Körpers abzulesen ist. Die allererste Geschlechterdifferenz ist zwischen dem Vater und dem Sohn festgelegt. Diese Differenz ist eine der Gattung, des Geschlechts.

Geschlecht ist ein Ordnungsbegriff, ein Begriff der Klassifikation. Geschlecht heißt Gattung und betrifft eine Gruppe oder Menge von Elementen, die ein Merkmal teilen bzw. das gleiche Merkmal haben. Differenzen werden nach ähnlichen Merkmalen in Gattungen gruppiert, während die Arten auf den Unterschieden ihrer spezifischen Wesenheit oder Begriffsbestimmung beruhen. Eine Gattung unterscheidet sich von einer anderen Gattung durch ihre konträren Verhältnisse. Lebewesen ist jene Gattung, die alle lebenden Systeme einschließt, trotz spezifischer Differenzen, wie eine Blume oder ein Mensch. Sie steht aber in einem entgegengesetzten Verhältnis dem Nicht-Lebewesen gegenüber, wie die anorganische Materie. Wenn die sexuelle Differenz durch ein Gotteswort signiert ist, spricht man von einer Differenz der Gattung, zwischen dem Gott und dem, was nicht Gott ist, wie dessen Kreaturen. Dem Gott-Vater misst man die Eigenschaften des Unsterblichen, Vollständigsten bei. Ihm setzt man dessen Negation entgegen: die Menge seiner Kreaturen, die Unvollständigen, Sterblichen.

Die erste lesbare sexuelle Differenz ist die Geschichte einer Markierung, welche die Unterscheidung von Göttlichem und Menschlichem trifft: der Verlust der Immanenz zugunsten eines transzendenten Gottes, indem der Gott, ein übergeordnetes Geschlecht, sich seinem Sohn entgegensetzt.

Arithmetik der Zweiheit

Eine beschnittene Signatur ist eine der Geschlechterdifferenz, die erste, die zwischen dem Vater und dem Sohn gesetzt wird. Gott ist der Oberbegriff. Der Vatergott, der oberste, der vollständigste, der Schöpfer steht an der Spitze einer Gattungsklassifikation. In der Sprache der Metaphysik lässt sich als die identitätslogische primäre Instanz nennen: Er ist sich selbst gleich und mit sich identisch. Seine Negation, seine konträre soll dann alles umfassen, was nicht unsterblich, nicht vollständig etc. ist und an dessen Spitze sich der Mensch-Mann befindet.

Die sexuelle Differenz fällt in die Falle der Arithmetik der Zweiheit, weil, wie anfangs erwähnt, die beiden Seiten der sexuellen Differenz nicht ersetzbar sind, indem keine Symmetrie besteht zwischen den zwei differenzierten Teilen. Unter das, was Gott nicht ist, fällt alles, was an der Negation des Nicht-Gottes teilhat. So kommt es, dass die Geschichte der Differenz eine solche der Unterscheidung, der Beschneidung, der Trennung und der Spaltung ist. Nur in der Dialektik der Zweiheit oder in der Arithmetik der Zweiheit geschieht dies. Deswegen stellt sich Derrida die Frage, ob bei Ameisen eine Geschlechterdifferenz zu erkennen ist. Die Arithmetik der Zweiheit fehlt bei Ameisen, „frouniers“.

Von welcher Differenz spricht die Geschichte der sexuellen Differenz? Derrida und Cioux sprechen von der sexuellen Differenz, der Lesbarkeit der Markierung des sexualisierten Geschlechts anhand der Arithmetik der Zweiheit: hier das Männliche und ihm gegenüber das Weibliche und die ausgeschlossene Dritte, weder Frau noch Mann, sondern frourniers.

Bei der sexuellen Differenz handelt sich aber um eine Geschlechterdifferenz der zweiten Ordnung, nämlich um die Frau, die ein Mensch (nächstgelegene Gattung) ist, dessen Geschlecht nicht männlich ist (Differenz). Hélènes Verdacht lautet, dass den Frauen die sexuelle Differenz nicht vertraut ist; deswegen haben sie vor dieser Geschichte Angst.

Dies ist eine Geschichte, die nur die Geschlechterdifferenz des Gott-Sohns betrifft. Diese Unterscheidung ist aber nur eine lesbare. Wer liest den Sohn?

Mutter

Derrida meint, dass es für das Unbewusste kein Geben gibt. „Für das Unbewusste oder für das reine Bewusstsein gibt es Geben nicht, Vergeben auch nicht, nur Tausch und beschränkte Ökonomie“ (S. 53). Es hängt davon ab, wo man den Beginn der zirkulären Ökonomie ansetzt, ob in der Hingabe oder in der Annahme, ob in der Gabe oder im Missbrauch. Die erste Beziehung ist eine des Missbrauchs, sagte Serres. Dies bedeutet, sie ist nur einseitig durch den Pfeil der Zeit bestimmt. Der Sohn wird im Körper der Mutter untergebracht, der Sohn, Parasit des Körpers der Mutter.

Der Körper der Mutter gibt hin, und es handelt sich um eine Gabe, die nicht eine beigemessene Erwiderung findet. Der Ausfall eines vollkommenen Austauschs oder beschränkter Ökonomie liegt nicht, wie Derrida andeutet, in der Beschränkung der Gabe, im Gegenteil, er hat seine Ursache im Übermaß der Gabe (Saratxaga). Wieso ist es so schwer, das Geschenk der Hingabe zu akzeptieren? Das ist der Blick der Mutter. Sie ist da und sie bringt unter. Sie nimmt in Kauf, dass die Gabe nie wiedergegeben wird, sie kann nicht vollständig wiedergegeben werden. „Es gibt immer etwas, das verloren geht, es ist die Unmöglichkeit der Wiedergabe“ (S. 28).

In einer wunderbaren Art und Weise deutet Hélène Cixous an, wie die Mutter-Sohn-Einheit das Kalkül des (Aus)Tausches bricht. Die Mutter ist eine Außenseite der ersten Signatur, des Wortes. „Die Mutter ist ihm erarbeitet“ (S. 18). Die Mutter ist ihm innerlich, nicht von ihm getrennt. Die Mutter ist dem Mann innerlich, zwischen ihnen ist dann die Trennung, die Abspaltung der Arithmetik der Zweiheit nicht vorhanden. Sie liest die sexuelle Differenz nicht. Die Mutter liest ihn nicht.

„Der Sohn wird nicht von Mutter gelesen“ (S.27 ) (…)

weil sie deine Sprache nicht spricht, sie spricht weder noch liest sie Derridianisch“ (S. 28).

„Gewisse Figuren sind unterdessen wohlbekannt, da sie im Laufe der Bücher in die Lesemythologie unserer Epoche Eingang gefunden haben. (…)

Die Mutter ist umwerfend, über die Wissenschaft der Worte hinaus prophetisch (S. 27).

Und dann hat diese Mutter den Schlüssel zu einem entscheidenden Moment dieser ganzen Geschichte: mit ihr hast du immer und nie das letzte Wort gehabt.“ (27)

Welche wäre dann die Ordnung des Geschlechts aus der Sicht der Mutter, aus dem Körper der Mutter; wie würden sich dann die Arten und Geschlechter einordnen?

Die Liebe als (symbolisches) Medium der Wiedereinigung einer Séparement

Das Weibliche und das Männliche, das Feminine und das Maskuline sind einer Geschlechterdifferenz zugeordnet, unter die manche, aber nicht alle Arten fallen. Entweder weiblich oder männlich, sagt die Arithmetik der Zweiheit, welcher Logik der ausgeschlossene Dritte zugrunde liegt. Ein Geschlecht, das zwischen dem Männlichen und dem Weiblichen steht sowie an beiden teilhat, ist von der zweiwertigen Logik ausgeschlossen, sodass alle Arten, die weder das weibliche noch das männliche Geschlecht haben, von der sexuellen Differenz nicht berücksichtigt sind. Dementsprechend könnte man sagen, dass die sexuelle Differenz von einer konträren Relation spricht, sofern das Weibliche dem Männlichen entgegengesetzt und umgekehrt ist. Zwar besteht eine Komplementarität und, wie die deutsche Sprache diese Beziehung gut ausdrückt, eine gegenseitige. Die eine ist die andere Seite der anderen und umgekehrt.

Die sexuelle Differenz spricht von der Unmöglichkeit der Synthese der komplementären Relation. Sie ist, wie Derrida feststellt, die Geschichte einer Trennung, eines séparement.

Séparément, „einzeln, (ab)getrennt, abgeschnitten, abgesondert“, kommt diesmal ganz allein. Das Wort tritt ganz allein vor, vereinzelt, séparément. Als Wort ‚séparément‘ geht als Einzelgänger vor (….) Man kann nicht séparément lieben und man kann nur séparément lieben, in Separation oder Ungleichheit des Paars. In unendlicher, weil inkommensurabler Distanz: nie werde ich dieselbe Distanz halten (…) Unendliche Separation im Paar, couple selbst und in der Parität des Paars, paire (65)“

Die Synthese einer konträren und zugleich gegenseitigen Relation scheint aber im Medium der Liebe möglich zu sein. Wie schon vorher bei der Geschlechterdifferenz erwähnt, ist die Einheit eine Eigentümlichkeit Gottes. Und wenn man überhaupt vom Geschlechterunterschied spricht, ist vom Göttlichen und dem, was nicht unter das Göttliche fällt, die Rede.

Die (Rede der) sexuelle(n) Differenz hält die Absonderung der Geschlechter aufrecht. Ihre Geschichte ist nicht eine der Differenz, sondern eine, die über eine irreparable Zäsur spricht: die Unmöglichkeit der Einheitlichkeit von Geschlechtern. Eher setzt die Liebe die Dramatik der Unmöglichkeit in Gang, die eine Vereinsamung voraussetzt, die nie aufgehoben wird, solange die Liebe als Medium die Wahrscheinlichkeit einer Unmöglichkeit besitzt (Saratxaga, „Liebe: Wenn eine Möglichkeit wahrscheinlich wird“, forthcoming).

Die Sprache der Liebe ist die Sprache, welche die Trennung entfernt. Sie zieht die Grenze der sexuellen Differenz hinaus, doch je näher die Liebe rückt, desto ferner ist das Einswerden.

Geschlechterdifferenz ist eine Differenz der Lesbarkeit. Die Trennung ist eine der markierten Signatur im Körper. Hélène spricht von einer Geschichte, nicht von der Trennung, nicht einer solchen, die ihr Angst bereitet und die auch nicht in einer Fabel zu lesen ist oder in der Fabel Trost findet.

„Sexuelle Differenz ist eine Fabel, beziehungsweise eine Mär“, so würde die Kopula „ist“ es ermöglichen den Satz und die Aussage umzukehren: Fabel, jede Fabel also, ist sexuelle Differenz“ (S. 52).