Wie ein Adler entfaltest du deine Flügel und den Blick in den Himmel richtend fragst du: wieso?

Am Tag Mariä Himmelfahrt, Christi Mutter, die mitleidende Mutter.

Mit offenen Armen, wie aufgespannte Flügel und erhobenen Hauptes hebt sie die Brust und blickt in den Himmel. Sich auflehnend fragt sie Gott den Vater: Wieso? Ihr Sohn liegt zu ihren Füßen, tot am Boden. So blickt die Skulptur Pietà von Jorge Oteiza am Fries der Basilika Unserer Lieben Frau von Arantzazu in der baskischen Provinz Gipuzkoa in Spanien.

Die Pietà gilt als Darstellung der Mater Dolorosa (Schmerzmutter). Sie stellt den Schmerz der Mutter Christi dar, bei der Momentaufnahme der vorletzten Station des Kreuzandacht, als die Leiche Christi auf dem Boden lag. Das Mitleid der Muttergottes hat die Bildhauerkunst im Motiv der Pietà nachgeahmt. Es ist seit dem frühen 14.Jahrhundert gebräuchlich und zählt zu den bekanntesten ikonographischen Darstellungen des Mittelalters.

Der nicht wieder gutzumachende Schmerz, Christi Verlust, lässt sich sehr gut an der Pietà der Heilig-Kreuz-Kapelle des Wallfahrtsklosters aus dem 14. Jahrhundert veranschaulichen. Die Gottesmutter ist von zahlreichen Pfeilen umgeben, während sie, „unsere Liebe Frau mit den Pfeilen“, den gestorbenen nackten Jesus Christus in ihrem Schoß hält.

Marmor skulpturierte Plastik Michelangelos in der Capella de la Pietà gilt als das bekannteste Vesperbild. Dieses mitsamt den ihr vorangehenden Darstellungen zeigt die Christus haltende leidende Mutter, ähnlich jener von Rondanini in Mailand.

Der Bildhauer Jorge Oteiza zeigt aber eine leere Pietà ohne Mantel, fast ohne physiologische Merkmale, zu deren Füßen der Leichnam Christi liegt. Sie hält ihr totes Kind nicht auf ihrem Schoß, sondern es liegt unbedeckt auf dem Boden, während die Mutter mit herzförmigem Gesicht schreiend zum Himmel aufschaut. Sie fragt empört: Welches Schicksal hast du meinem Kind zugedacht? Wieso? Diese gegen die Schuld auf Christus schiebende Frage, diese religiöse Darstellung einer schmähenden Mutter erschüttern das baskische Bistum und den Vatikan in Rom. Die mehr als drei Meter breite und hohe skulpturierte Jungfrau mitsamt den 14 Aposteln lag 12 Jahre wegen eines vatikanischen Verbots in der Gosse.

1950 wurden die Grundlagen zur Umgestaltung der Basilika von Arantzazu veröffentlicht. Die Architekten Francisco Sáenz de Oiza und Luis Laorga hatten die höchste Punktezahl bekommen und ihnen wurde der Bau der neuen Basilika übertragen. Mit der Einrichtung des Frieses wurde der Künstler Jorge Oteiza beauftragt, mit den Gemälden der Krypta der Maler Nestor Basterretxea, mit der Apsis Carlos Pascual de Lara, mit dem Buntglas Javier Alvarez de Eulate und mit den Toren der Bildhauer Eduardo Chillida.

Die neue Basilika wurde 1955 gebaut. Eduardo Chillida und Javier Alvarez de Eulate durften ihre Arbeit fortsetzen, obwohl die künstlerischen Arbeiten von Oteiza, Lara und Basterretxea nicht den Vorschriften der kirchlichen Kunst entsprachen. Der Bischof von San Sebastian, Jaime Front Andreuri, schickte die Entwürfe nach Rom: „Diese Päpstliche Kommission, die gemäß den Richtlinien des Heiligen Stuhls über den Anstand in der religiösen/heiligen Kunst wacht, kann die vorgelegten Entwürfe leider nicht genehmigen“. Der Bischof von San Sebastian erteilte ihr die Befugnis zum Verbot, das 1954 erging.

Die mehr als fünf Tonnen wiegende Pietà sieht so aus, als sie in den Himmel fliegt. Unter der Pietà stehen 14 entleerte Apostel. Sie sind entleert, entkörpert. Die Zahl der Apostel und deren entleerte und entkörperte Figuren widersprechen der herrschenden kirchlichen ikonographischen Darstellung. „Die Apostel, die wie aufgeschnittene heilige Tiere aussehen, sagen uns, dass sie sich selbst entleert haben, weil sie ihr Herz in andere gesteckt haben“, meinte der Künstler Jorge Oteiza. Jeder von ihnen ist drei Meter hoch und wiegt fünf Tonnen. Oteiza selbst nannte die Dynamik der Apostel ein „Friesballett“, seine Technik ist die Hyperbolik, der ausgehöhlte Zylinder. Der Kalkstein erinnert an die umliegenden Berge, die unregelmäßigen Volumina an den Abdruck des Wassers auf dem Fels. Seine Dynamik verbindet sich mit einer symmetrischen Komposition des Werks.

Die beiden Apostel am Ende der Reihe sind nach vorne gewandt und umhüllen mit dieser Geste das Ganze. Die anderen blicken nach oben zur Mutter, die in den Himmel schaut. Widersprechend lehnt sich der Eifer der Mutter gegen den Himmel auf: Mein Sohn ist nicht schuldig, unsere Kinder sind nicht schuldig.